Rechtsanwalt Baumann-Czichon äußert sich zum Mitbestimmungstatbestand bei "1-Euro-Kräften"

Nachricht 10. November 2004

Bernhard Baumann-Czichon , Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht in Bremen nimmt in der neuesten Ausgabe der Zeitschrift "Arbeitsrecht & Kirche" ausführlich Stellung zu den "1-Euro-Jobs", wie sie im Rahmen der Einführung des Arbeitslosengeldes II wahrscheinlich auch im kirchlichen und diakonischen Bereich in erheblicher Zahl entstehen werden. Dabei beurteilt er nicht nur die Frage der Mitbestimmung durch die MAV, sondern deckt mit seinem Artikel die gesamte arbeitsrechtliche Bandbreite ab.

Zur Erinnerung: Im Frühjahr 2004 erschien als neues Informationsblatt für Mitarbeitervertretungen die Zeitschrift "Arbeitsrecht & Kirche". Sie stellt eine Alternative zur von vielen gelesenen ZMV dar, hebt sich aber besonders gegenüber der Zeitschrift "Der Personalrat" durch ihre gute Lesbarkeit ab. Dies wird besonders die nicht so rechtsbewanderten MAV-Mitglieder freuen. Denn schließlich möchte man auch verstehen, was man liest.

Herausgegeben wird die praxisbezogene Zeitschrift im Kellerverlag. Verantwortlich zeichnet eine Redaktion um den bekannten Bremer Rechtsanwalt Baumann-Czichon. Erscheinungsweise ist vierteljährlich. Im Abonnement kostet der Bezug 40 € im Jahr.

Bezogen werden kann die Zeitschrift über folgende Adresse. Dort ist auch die Anforderung eines kostenlosen Ansichtsexemplars möglich, sodass sich jede MAV ein eigenes Bild machen kann.

SachBuchVerlag
SachBuchService Kellner
St.-Pauli-Deich 3

28199 Bremen

Hier der Artikel:

1-Euro-Jobs arbeitsrechtlich betrachtet

Bernhard Baumann-Czichon, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bremen

Ziel der sog. Hartz-Reformen ist es, Arbeitslosen den Weg zurück in die Arbeitsgesellschaft zu ebnen. Nicht Arbeitslosigkeit sondern Arbeit soll gefördert werden. Es wäre deshalb zu erwarten gewesen, dass die sog. 1-Euro-Jobs als Arbeitsverhältnisse ausgestaltet werden. Stattdessen ist es bei den "Arbeitsgelegenheiten" geblieben, ein Begriff, den wir schon aus dem alten § 19 BSHG kennen. Danach sollten für Hilfesuchende, die keine Arbeit finden können, Arbeitsgelegenheiten geschaffen werden. Nach § 19 Abs. 2 BSHG konnte entweder Hilfe zum Lebensunterhalt zzgl. einer Mehraufwandsentschädigung oder das übliche Arbeitsentgelt gezahlt werden. Die Möglichkeit der Zahlung des üblichen Entgeltes besteht nicht mehr. Wem eine Arbeitsgelegenheit gegeben wird, der kann nur noch die Grundsicherung sowie eine Mehraufwandsentschädigung erhalten. Die Ausgestaltung der Arbeitsgelegenheit als Arbeitsverhältnis ist nunmehr ausgeschlossen. Das Gesetz bestimmt ausdrücklich, dass durch die Verschaffung einer Arbeitsgelegenheit ein Arbeitsverhältnis nicht geschaffen wird sondern - lediglich - eine sozialrechtliche Arbeitsgelegenheit. Der Anspruch, Arbeitslose in Arbeit - also in existenzsichernde Arbeitsverhältnisse zu vermitteln - ist damit von vorne herein aufgegeben. Wer in eine Arbeitsgelegenheit vermittelt wird, erwirbt in dieser Zeit keine Rentenansprüche wie ein Arbeitnehmer, er erwirbt auch keine neuen Ansprüche auf Arbeitslosengeld. Die Arbeitslosengeld-II-Bezieher sind eine billige Reservearmee, aus der sich insbesondere Kommunen und Wohlfahrtseinrichtungen bedienen können. Zwar sollen Arbeitsgelegenheiten nur für zusätzliche Arbeiten geschaffen werden. Wir werden aber erleben, dass die Praxis eine andere ist. Regelarbeitsplätze werden in Arbeitsgelegenheiten "umgerubbelt". Wie leicht das geht, haben wir schon bei den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen erlebt, die wir seit Anfang der 80er kennen. Viele Kommunen haben ihre Haushalte auf diese Weise zu Lasten der damaligen Bundesanstalt für Arbeit entlastet. Da seinerzeit ABM-Kräfte tarifvertraglich vergütet werden mussten, wurde wenigstens kein wirtschaftlicher Druck auf die Regel-Arbeitnehmer ausgeübt. Die neuen "Arbeitsgelegenheiten" werden aber gerade die Arbeitnehmer in Niedriglohngruppen massiv unter Druck setzen. In vielen Einrichtungen herrscht noch Skepsis und Zurückhaltung gegenüber dieser neuen Beschäftigungsform. Da aber einige Einrichtungen schon in großem Stile Arbeitssuchende für 1-Euro-Jobs einwerben, werden die sich heute noch zurückhaltenden Einrichtungen nachziehen müssen. Denn die Vorreiter der 1-Euro-Job-Bewegung werden mit diesen billigen Arbeitskräften zugleich Druck auf die Pflegesätze und sonstigen Entgeltformen ausüben. Zu Recht hat deshalb der Direktor des Diakonischen Werkes der Kirchenprovinz Sachsen, Dr. Turre (Am 1.9.2004 in Magdeburg auf einer Veranstaltung des Gesamtausschusses der Mitarbeitervertretungen ), vor diesen Arbeitsgelegenheiten gewarnt und sie als trojanische Pferde bezeichnet.

1-Euro-Jobs: schuften wie ein Arbeitnehmer

Unabhängig davon, ob der 1-Euro-Job als Arbeitsverhältnis oder lediglich als sozialrechtliche Arbeitsgelegenheit ausgestaltet ist, werden die arbeitenden Hilfeempfänger weisungsgebundene Tätigkeit in den Betrieben verrichten. Sie arbeiten damit wenigstens wie ein Arbeitnehmer . Die 1-Euro-Jobber werden gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die betriebstechnischen Zwecke des Betriebes verfolgen: Altenhilfe, Krankenhilfe, Jugendhilfe, Behindertenhilfe ..... Sie werden eingebunden sein in die betriebliche Organisation. Sie werden von den gleichen Vorgesetzten ihre Anweisungen erhalten. Sie werden sich an die gleichen betrieblichen Regelungen halten müssen, z.B. hinsichtlich der Arbeitszeit, Dienst- und Schutzkleidung, Einlasskontrollen usw. Der Betrieb bzw. die Einrichtung lenkt und organisiert ihren Arbeitseinsatz, nicht die Agentur für Arbeit. Die Tätigkeit in Form der Arbeitsgelegenheit erfolgt nicht in Parallelstrukturen, wie z.B. einer Beschäftigungs- oder Qualifizierungsgesellschaft. Die Arbeitsgelegenheit wird im "Echtbetrieb" geschaffen - aber nur sozialrechtlich abgegolten. Der Leistungsaustausch zwischen 1-Euro-Jobber und dem Betrieb ist (im Vergleich zu den sonstigen Mitarbeitern) gestört: Der Hilfeempfänger arbeitet voll, der Betrieb zahlt nur die Mehraufwandsentschädigung (in der Regel 1 € pro Stunde).

Mitbestimmung bei Einstellung

Aus Sicht der Mitarbeitervertretung macht es keinen Unterschied, ob eine Arbeitskraft aufgrund eines Arbeitsverhältnisses, eines Leiharbeitsvertrags, aufgrund eines Honorarvertrages oder nun aufgrund einer sozialrechtlichen Arbeitsgelegenheit in den Betrieb eingegliedert wird. Denn in jedem Fall kann diese Eingliederung die Aspekte berühren, die die Mitarbeitervertretung berechtigen, der Einstellung zu widersprechen, vgl. hierzu § 41 MVG-EKD bzw. § 45 MVG-K. Die Mitarbeitervertretung hat bei der Eingliederung eines 1-Euro-Jobbers ein eingeschränktes Mitbestimmungsrecht. Denn unter einer Einstellung im Sinne von § 42 MVG ist nicht erst der Abschluss eines Arbeitsverhältnisses sondern schon die bloße Eingliederung in den Betrieb zu verstehen (Schiedsstelle der Konföderation ev. Kirchen in Niedersachsen, Beschluss vom 26.3.1004, A+K, 2004, Heft 2 Seite 26). Eine mitbestimmungspflichtige Einstellung ist dann anzunehmen, wenn der Beschäftigte in den Betrieb derart eingegliedert ist, dass er zusammen mit den bereits im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmern eine Tätigkeit zu verrichten hat, die weisungsgebunden ist, der Verwirklichung des arbeitstechnischen Zweckes des Betriebes dient und vom Arbeitgeber des Betriebes organisiert werden muss ( VerwG-EKD, Beschluss vom 5.6.1997, ZMV 1998, 136; Beschluss vom 7.3.2002; Beschluss vom 11.9.97 EkA Mitbestimmung Einstellung Nr. 11; Beschluss vom 27.11.97 EkA Mitbetimmung Einstellung Nr. 11; BAG, Beschluss vom 15.12.92 EkA Mitbestimmung Einstellung Nr. 5).

Bei der Einstellung von 1-Euro-Jobbern handelt es sich auch um eine Maßnahme der Dienststelle. Zwar wird die Verschaffung der Arbeitsgelegenheit durch die Vereinbarung zwischen Hilfeempfänger und Fallmanager geregelt. Gleichwohl kann die Eingliederung in die Einrichtung nur mit Zustimmung des Arbeitgebers erfolgen. Die Agentur für Arbeit kann der Einrichtung die Hilfeempfänger nur "anbieten", sie aber nicht zuweisen. Schon nach altem Recht war die Eingliederung aufgrund eines Sozialrechtsverhältnisses (also ohne ein Arbeitsverhältnis zu begründen) mitbestimmungspflichtig(BVerwG Beschluss vom 26.1.00 AP MitbestimmungsG Schleswig-Holstein § 51 Nr.2). Die Auswahl und Eingliederung unterliegt daher dem Mitbestimmungsrecht der Mitarbeitervertretung.

1-Euro-Jobber als Mitarbeiter?

Die Feststellung, dass die Eingliederung der 1-Euro-Jobber mitbestimmungspflichtig ist, führt aber nicht zwangsläufig zu der Feststellung, dass diese auch Mitarbeiter im Sinne des Mitarbeitervertretungsrechts werden. Denn Mitarbeiter ist nur, wer die Anforderung des § 2 MVG-EKD erfüllt:

Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Sinne dieses Kirchengesetzes sind alle in öffentlich-rechtlichen Dienst- oder privatrechtlichen Dienst- und Arbeitsverhältnissen oder zu ihrer Ausbildung Beschäftigten einer Dienststelle, soweit die Beschäftigung oder Ausbildung nicht überwiegend ihrer Heilung, Wiedereingewöhnung, beruflichen oder sozialen Rehabilitation oder ihrer Erziehung dient

Auch wenn die Arbeitsgelegenheiten wie ein Arbeitsverhältnis erscheinen, handelt es sich aufgrund der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung gerade nicht um ein Arbeitsverhältnis, sondern (lediglich) um eine sozialrechtliche Arbeitsgelegenheit . Die Möglichkeit, über den sozialrechtlichen Leistungsanspruch ein Arbeitsverhältnis zu begründen und zu finanzieren, ist entfallen.


Es bleibt aber noch zu prüfen, ob diese Beschäftigung nicht als öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis zu qualifizieren ist. Denn das Sozialrecht ist Teil des öffentlichen Rechts. Unter einem Dienstverhältnis ist nach § 611 BGB ein Vertrag zu verstehen, durch den sich der eine Teil zu Erbringung einer versprochenen Leistung (Arbeit), der andere zur Zahlung der vereinbarten Vergütung verpflichtet. Der im Rahmen einer Arbeitsgelegenheit tätige Hilfeempfänger verpflichtet sich, im Rahmen des Beschäftigungsbetriebes die ihm dort zugewiesenen Tätigkeiten zu verrichten. Der Beschäftigungsbetrieb - die Einrichtung - ist verpflichtet, dem Hilfeempfänger die Mehraufwandsvergütung zu zahlen. Die Leistung des Hilfeempfängers ist eine Dienstleistung. Sie ist sogar weisungsabhängige Dienstleistung und damit Arbeit im Sinne eines Arbeitsverhältnisses - allerdings ohne arbeitsvertragliche Bindungen zu begründen. Das öffentlich-rechtliche Verhältnis besteht zwischen Hilfeempfänger und Agentur für Arbeit, die Dienstverpflichtung besteht zwischen Hilfeempfänger und Betrieb. Das Sozialrechtsverhältnis wirkt daher wir ein Vertrag zu Gunsten Dritter, zugunsten des Betriebes.


Ein Dreiecksverhältnis mit derart ausgeprägten arbeitsrechtlichen Elementen war bislang nicht bekannt. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wurden im Rahmen eines normalen Arbeitsverhältnisses durchgeführt. Die Arbeitsgelegenheit nach § 19 BSHG wurde entweder als echtes Arbeitsverhältnis (Dies führte auch zur Anwendung des damaligen SchwbG (heute: SGB IX): BAG , Urteil vom 4.2.93 AP SchwbG 1986 § 21 Nr. 2 und zur Befristungskontrolle: BAG, Urteil vom 22.3.00 AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 222) oder als reines Sozialrechtsverhältnis ohne jeden arbeitsrechtlichen Bezug abgewickelt. Die rein sozialrechtliche Beschäftigung nach § 19 BSHG war eher die Ausnahme und meist nur auf kurze Zeit angelegt. Denn bei längerer Hilfebedürftigkeit waren die Sozialämter daran interessiert, die Hilfeempfänger in ein (befristetes) Arbeitsverhältnis zu vermitteln bzw. dieses zu finanzieren. Nur so konnte der Hilfeempfänger Leistungsansprüche gegenüber dem Arbeitsamt erwerben - und die Sozialamtskasse entlasten.


Demgegenüber ist die Arbeitsgelegenheit nach Hartz-IV ein Zwitter: sie erscheint als Arbeitsverhältnis und kann wegen der gesetzlichen Anordnung ein Arbeitsverhältnis nicht sein. Mit den Arbeitsgelegenheiten nach Hartz-IV ist ein Beschäftigungstypus geschaffen, der dem Kirchengesetzgeber bislang nicht bekannt war. Er konnte deshalb auch noch keine Berücksichtigung finden. Es liegt eine Regelungslücke vor. Die Lücke ist auch nicht gewollt sondern planwidrig. Dies folgt im Umkehrschluss aus der Beschreibung derjenigen Beschäftigungszwecke, die dem Mitarbeiterstatus entgegenstehen: Beschäftigung zum Zwecke der Rehabilitation oder Erziehung. Diese Personen verfolgen nicht den betriebstechnischen Zweck der Einrichtung, vielmehr wird die Einrichtung um ihretwillen betrieben (vgl. BAG Beschluss vom 5.4.00, AP BetrVG 1972 § 5 Nr. 62). 1-Euro-Jobber werden in diakonischen und Caritas-Einrichtungen nicht beschäftigt, damit sie sich wieder an Arbeit gewöhnen und sie auf diese Weise in den Arbeitsmarkt (re-)integriert werden können. Ihre Beschäftigt dient - aus Sicht der Einrichtung - ausschließlich der Erfüllung der betrieblichen Zwecke. Sie werden beschäftigt als billige Arbeitskräfte, zunächst vorrangig um die ausbleibenden Zivildienstleistenden abzulösen. Und anders als Zivildienstleistende unterliegen sie auch nicht der fürsorgenden Aufsicht einer Behörde (Bundesamt für den Zivildienst). 1-Euro-Jobbber arbeiten, um ihr bescheidenes Einkommen zu sichern. Durch diese Tätigkeit erhalten sie eine - geringe - Aufwandsentschädigung, also zusätzliches Geld. Verweigern sie die Arbeit müssen sie mit Kürzungen der Grundsicherung rechnen. Auf beiden Seiten - der Einrichtung und des Arbeitenden - hat die Arbeitsgelegenheit die gleiche Funktion wie ein normales Arbeitsverhältnis. Und die 1-Euro-Jobber sind im gleichen Maße schutzbedürftig wie andere Arbeitnehmer - mindestens. Und es ist auch nicht erkennbar, dass die Stammbelegschaften durch die 1-Euro-Jobber majorisiert werden (BAG a.a.O ) . Die ungewollte Gesetzeslücke ist daher im Wege der Analogie zu schließen mit der Folge, dass 1-Euro-Jobber den Status eines Mitarbeiters haben.

Die Mitarbeitervertretung ist zuständig für alle Belange der 1-Euro-Jobber. Dazu zählen alle organisatorischen und sozialen Angelegenheiten. Diese werden in der Regel betriebs- oder abteilungsbezogen geregelt. Zu den mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten der 1-Euro-Jobber zählen grundsätzlich auch deren personelle Angelegenheiten, soweit sie in die Entscheidung der Einrichtung gestellt sind. Für Kündigungen und Eingruppierungen ist kein Raum, wohl aber für die Umsetzung mit gleichzeitigem Ortswechsel. Ungeklärt ist die Frage, welchen Rechtsschutz der Hilfeempfänger in Anspruch nehmen kann, wenn der Beschäftigungsbetrieb willkürlich eine weitere Zusammenarbeit ablehnt, was wirtschaftlich einer Kündigung gleich kommt.

1-Euro-Jobber zählen bei der Berechnung der Größe der Einrichtung ebenso mit wie bei der Zahl der freizustellenden Mitarbeitervertreter.

Es ist zu erwarten, dass die Arbeitgeber gegen die hier vertretene Rechtsauffassung Sturm laufen. Wir werden deshalb bald wissen, ob die Kirchengerichte (Schieds- und Schlichtungsstellen) diese Rechtsauffassung teilen.